VFB versus BALL
(#1-62, 2001-2024)
VFB versus BALL bezeichnet die Teile, bzw. Phasen eines prozessorientierten Langzeitprojekts, das Denkvorgänge zum Themenkreis Konsum, Mode, Sport und Globalisierung auslösen möchte.
„Der springende Punkt ist der Ball.“
(Dettmar Cramer, ehemaliger Trainer des FC Bayern München)
Der Verein für Ballstörungen (VFB) bietet humorvoll-ironische, als auch ernst zu nehmende Möglichkeiten, um sich mit den Auswirkungen von westlichem Lebensstil auf die Arbeits- bedingungen von Menschen in Fußball-produzierenden Ländern auseinanderzusetzen. Oberste Prioritäten waren/sind dabei das Erzeugen von neuen Öffentlich- keiten für das Thema, und der Versuch der kontinuierlichen Steigerung des eigenen Spielniveaus.
Als BALL (Bündnisse zur Aufrechterhaltung lausiger Lebensumstände) werden in diesem Match all jene Phänomene zusammengefasst, die sozial und/oder ökologisch bedenkliche Aspekte der Sportartikelindustrie erzeugen oder in Gang halten. Der VFB agiert an den Schnittstellen der Bereiche Fußball, Bildende Kunst, Entwicklungspolitik und Produktdesign, und setzt auf den Einsatz von künstlerischer Kraft und Kreativität zur Transformation von Teilbereichen der Gesellschaft.
Objektserie aus Markenfußbällen, 4 unterschiedliche Formen.
Installationsansicht Galéria Jána Koniarka,
Trnava/SK (2003)
VFB versus BALL
#1: Global Player Matchballs (2001-2006)
Einer der Problembereiche globalisierter Sportartikelproduktion – außerordentlich schlecht bezahlte, oft von Kindern geleistete Arbeit unter indiskutablen Bedingungen – ist am Beispiel Fußball deutlich ablesbar. Eine Alternative dazu sind Fußbälle aus Fairem Handel (FairTrade), die trotz guter Qualität und niedrigen Preisen in der Fußballöffentlichkeit noch großteils unbekannt, und wenig verbreitet sind. Die Objektserie Global Player Matchballs (4 geometrisch korrekte Körper in mehreren Farbvariationen) ist unter Verwendung von Originalwerkzeugen handgenäht. Als Material dienten zerlegte Markenfußbälle, deren Einzelteile neu arrangiert und in der handelsüblichen Technik wieder zusammengenäht wurden. Die Dekonstruktion und Neuinterpretation des zentralen Objekts im Fußballsport ist ein Versuch, Normen in Frage zu stellen und Muster aufzubrechen. Visuelle Irritation und unvorhergesehenes Roll- und Sprungverhalten erzeugen erhöhte Aufmerksamkeit und Konzentration: Mit dem Markenball stimmt etwas nicht..
Da bei jedem Auftritt in Fußballkreisen Staunen und Interesse zu verzeichnen ist, konnten ab 2002 Probetrainings in unterschiedlichen Spielklassen und verschiedenen Altersstufen durchgeführt werden. Einerseits hatten die Spieler_innen offensichtlich Spaß beim Kicken, und andererseits stellte ich (Mario* Sinnhofer) die These auf: Wer mit diesen Bällen umgehen kann, hat mit dem runden Ball kein Problem mehr. 2004 fand das erste Training mit Fußballprofis aus der österreichischen Bundesliga statt (SV Austria Salzburg), was auch für die ORF-Sportredaktion interessant genug erschien, um ein Kamerateam zu entsenden. Durch den dabei entstandenen Beitrag in der Prime-Time Sendung „Sport am Sonntag“ konnte erstmals eine breite Öffentlichkeit erreicht werden. Es gelang, einem kunstfernen Publikum – Sportler_innen als auch Journalist_innen – mit Hilfe der Fußball-Objekte auf einer ihnen vertrauten Ebene zu begegnen.
Die Global Player Matchballs bieten nicht nur körperlich Anlässe zur Überprüfung von festgefahrenen Wahrnehmungsgewohnheiten und Handlungsmustern. Durch die Beantwortung automatisch auftauchender Fragen, z.B. : „Wie stellt man so etwas her?“ oder: „Das ist ja irrsinnig aufwändig – wer macht denn das eigentlich?“ wird es in Gesprächen oftmals möglich, ganz beiläufig auch eine Diskussion über die Arbeitsbedingungen in der Produktion und die diesbezügliche Verantwortung der Konsument_innen zu beginnen.
Finalist ISPO brandnew award 2010, München
(wichtigste internationale Sportmesse)
VFB versus BALL
#62: RASENREICH (2009-2024)
Die Kunstobjekte Global Player Matchballs wurden als seriöse Fußball-Trainingsgeräte am Sportartikelmarkt lanciert – mit der Absicht, FairTrade im Sport zu etablieren.
Für dieses Vorhaben fand sich ein Kooperations-Trio zusammen: Der Sportkinesiologe Franz Mayer konnte die oben formulierte These fachlich fundiert belegen, und Grafikdesigner Bernd Wagner entwickelte CI und Oberflächengestaltung. Die Firma Rasenreich war geboren.
Gekauft werden diese Sportgeräte weder als Kunstobjekte, noch wegen dem FairTrade Siegel, sondern aufgrund des tatsächlichen Trainingsnutzens – aber auf diese Weise transportieren die Produkte den FairTrade Gedanken durch die Hintertür in die Sportartikelbranche und auf die Trainingsplätze. Inzwischen auch zu Mannschaften aus den höchsten Spielklassen in verschiedenen Ländern, unter anderem: Hertha BSC Berlin, FC Basel, Austria Wien, Zenith St. Petersburg, den U-21 Teams des FC Bayern München und der Japanischen Nationalmannschaft, sowie zu zahlreichen Nachwuchs-Leistungszentren von namhaften Profimannschaften europaweit.
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.
(Francis Picabia, 1922)
Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann.
(Buchtitel zum Thema Fußballtaktik, 1999)
Die Wirkungsweise: So revolutioniert CORPUS das Fussballtraining
Das Training mit Rasenreich CORPUS verbessert Koordination, Technik und Reaktionsfähigkeit. Feld- und Torspieler_innen werden körperlich und geistig stark gefordert, was zu einer Verbesserung der motorischen Leistungsfähigkeit führt. Rasenreich CORPUS kann effizient in jede Spiel- und Übungsform im Trainingsalltag integriert werden. Ein Trainingsgerät – hunderte Anwendungsmöglichkeiten
Die Trainingsgeräte CORPUS I und II sorgen für einen drastisch erhöhten Schwierigkeitsgrad. CORPUS wird behandelt wie ein runder Fußball, stellt die Spieler_innen aber vor ungewohnte Situationen, deren Meisterung die Fähigkeiten im Umgang mit dem Ball deutlich verbessert, und so zu entscheidenden Vorteilen im Turnierspiel führt. Beide Ausführungen entfalten die gleiche Wirkung, weisen jedoch unterschiedliche Spieleigenschaften auf. Der Wechsel zwischen den Formen ist wichtig, um Gewöhnungseffekten vorzubeugen.
FUßBALL & KUNST
(verfasst von Mario* Sinnhofer)
In einer Gesellschaft, in der am Sport wesentliche Werte wie Beschleunigung und Leistungsorientierung ablesbar sind, kann ein humorvoller Akt gelingen, in dem man mit Ikonen des Sports so hantiert, dass Brüche entstehen. Ich verstehe solche Details auch als Einstiegshilfe in meine Arbeiten für Personengruppen, die sonst wenig bis gar nicht mit zeitgenössischer Kunst in Kontakt geraten. Das hilft, um das Gefühl zu erzeugen: „Dieser Typ, dieser Künstler, der ist ja irgendwie auch einer von uns.“
Der Großteil meiner Fußball-Arbeiten zielt ausdrücklich darauf ab, auf unerprobten Wegen ein Fußballpublikum zu erreichen, um dann auf einer nächsten Ebene Information, Kritik, etc… zu transportieren, die sonst nicht hinter die Verteidigungslinien der inneren Abwehrmechanismen gelangt wäre. Im Idealfall werden somit Reflektionsvorgänge ausgelöst. Ich gehe dabei nach einer nur zu gut bekannter Taktik vor: Ein auffälliges, besonders schönes oder humorvolles Ereignis oder Erscheinungsbild erzeugt Aufmerksamkeit, die dann für bestimmte Zwecke genutzt wird.
Grundsätzlich würden zwar die meisten meiner Arbeiten auch mit einem anderen populären Sport als Transportmedium funktionieren, denn der Fußball ist im Grunde nur das Beispiel, anhand dessen ich z.B. globalisierte Produktionsprozesse zu beleuchten versuchte. Gleichzeitig funktionieren die Arbeiten aber aufgrund der weiten Verbreitung und der Intensität des gegenwärtigen Fußballkults. Ein Umstand, der auch in Zusammenhang mit der immensen Zunahme der medialen Präsenz des Fußballs seit den 1990er Jahren, und einem potenten Mitspieler namens Sportartikelindustrie steht.
Sichtbare Nation und Kontingenz
Fußball ist auch deshalb von Bedeutung, „weil die Spiele der Nationalmannschaft eine der wenigen Momente sind, wo man eine fleischgewordene Nation beobachten kann“ (siehe Fußnote 1). Hier bietet sich die seltene Möglichkeit, das Land zu „sehen“. Das Team ist lebendiger als eine Fahne und greifbarer als das Bruttoinlandsprodukt. Wenn z.B. brasilianische Fans über die Taktik sprechen, die ihrer Meinung nach von der Nationalmannschaft umgesetzt werden sollte, dann ist das nicht nur ein Gespräch über Fußball. Es geht gleichzeitig auch darum, wie sich das Land insgesamt verhalten soll, wie man sich der Welt präsentiert und entgegenstellt. Wünscht man sich ein kreatives, tanzendes Heimatland, oder eines, das arbeitsam ist und wie eine gut geölte Maschine funktioniert? Das Team ist die Nation.
Einer der geschätztesten Aspekte sportlicher Ereignisse, die Kontingenz (2), ist zu einem großen Teil auch für meinen eigenen Fußball-Enthusiasmus verantwortlich. Wenn die favorisierte Mannschaft das Spiel gewinnt, kann es gut sein, dass dem Zuschauer durch deren überlegene Leistung und die Art und Weise wie sie den Gegner dominierte ein eindrucksvolles „Stück“ geboten wurde. Wie erwähnt, findet dabei eine Verschmelzung von Autorenschaft und Darstellerschaft statt. Der Standardanspruch beim Betrachten eines Fußballspiels ist, dass man schöne Spielzüge, technische Einlagen auf hohem Niveau, und kunstvoll erzielte Tore zu sehen bekommt. All das, wenn man Fan ist, natürlich von der eigenen Mannschaft. Dieser Anspruch ist ohnehin bereits nicht leicht zu erfüllen, denn „bei einem Fußballspiel verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.“ (Jean-Paul Sartre)
Ein Spiel wie das gerade beschriebene erfüllt zwar hochgesteckte Erwartungen, ist aber grundsätzlich doch vorhersehbar. Weitaus intensiver wird jedoch ein sportliches Ereignis erlebt, wenn dabei etwas Unvorhergesehenes geschieht, und Fußball produziert laufend Situationen, wo das passieren kann. Kontingenz bedeutet, dass jedes Ereignis den weiteren Verlauf des Spiels erzeugt. Vielleicht würde es zu einem Torerfolg kommen, wenn der Spieler eine Flanke schlägt, vielleicht aber ist es besser er entscheidet sich für das Dribbling. Oder noch viel einfacher: Es kann Spiel entscheidend sein, ob der Torwart beim Abstoß den Ball in die linke oder die rechte Spielfeldhälfte schlägt, allein weil sich links und rechts unterschiedliche Menschen auf dem Spielfeld befinden. Die gelungene Aktion und das Versagen liegen gerade im Fußball extrem nahe beisammen, sowohl auf das gesamte Spiel, als auch auf die einzelnen Aktionen bezogen. Der auf den Sekundenbruchteil richtig gewählte Zeitpunkt eines Abspiels, der exakte Anstellwinkel des Fußes beim Torschuss, die intuitive Reaktion des Torwarts – jeder dieser Momente kann schlagartig den Verlauf des weiteren Spiels komplett verändern, und die Spieler müssen laufend auf diese Veränderungen reagieren. Kontingenz ist ständig im Spiel, und am stärksten dann zu spüren, wenn Alles auf der Kippe steht. Gerade in diesen Momenten ist Fußball am faszinierendsten.
Durch bestimmte Spielregeln werden im Fußball solche Situationen bewusst erzeugt, zum Beispiel wenn eine Entscheidung über Sieg und Niederlage von Außen herbeigeführt werden muss. Etwa die Auswärtstor-Regelung (3) im UEFA-Cup oder das Elfmeterschießen bei einem Turnier wie den Weltmeisterschaften. Ein Elfmeterschießen treibt die Dramatik auf die Spitze. Der letzte Elfmeter, als ein kurzer Moment, entscheidet nach 120 Spielminuten über Sieg oder Niederlage. So wäre abgesehen von den Spielern auch der schwer fassbare Begriff der Kontingenz dafür verantwortlich, dass man Fußball auch als Kunst definieren kann.
Fußnoten
1 John Gill, Einleitung zum Ausstellungskatalog „Offside! Contemporary artists and football“, Manchester City Art Gallery, 1996
2 Wolfgang Welsch, Sport: Ästhetisch betrachtet – und sogar als Kunst?, in: Kunst und Sport I, Kunstforum 169, 2004
3 Erklärung dieser Regel: Wenn in der K.O.-Phase des UEFA-Cups zwei Mannschaften aufeinander treffen, und in jeweils einem Heim- und einem Auswärtsspiel den Aufsteiger in die nächste Runde ermitteln, kommt dabei oft die sogenannte „Auswärtstor-Regelung“ zur Anwendung. Der Sieger wird üblicherweise ermittelt, in dem beide Ergebnisse addiert werden. Zum Beispiel bei 1:0 im ersten, und 0:2 im zweiten Spiel ist das Ergebnis insgesamt 1:2 , und Verein B steigt auf. Bei Gleichstand der in beiden Spielen erzielten Tore (z.B. 1:0 im ersten, und 1:2 im zweiten Spiel – Ergebnis insgesamt 2:2) besagt diese Regelung, dass jene Mannschaft in die nächste Runde aufsteigt, die mehr Tore auswärts, also im Stadion des Gegners erzielt hat. Durch die Auswärtstor-Regelung entstehen Spielsituationen, in denen z.B. eine Mannschaft, die beim aktuellen Spielstand ausscheiden würde, mit nur einem zusätzlichen Tor noch insgesamt den Sieg schaffen kann. Es ist nicht zuerst ein Ausgleichstor und danach noch ein Siegestor notwendig, wie etwa bei einem Einzelspiel.
Weitere Artikel über Mario* Sinnhofer
http://spotsz.servus.at/artikel/jul-4-2013-2305/globalisierung-fussball-kunst